Konsumenten Verband

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SCHWEIZERISCHER VERBAND DER KONSUMENTENVEREINE
ZUR FÖRDERUNG DER BIOLOGISCH-DYNAMISCHEN LANDWIRTSCHAFT
UND ASSOZIATIVER WIRTSCHAFTSORDNUNG

Biodynamische Landwirtschaft und Salutogenese

Krankes bekämpfen oder Gesundheit fördern?

Bio-dynamische Landwirtschaft

Biene an Salbei (Foto: FiBL, Ahmo Hajdarpasic)

Von Jean-Michel Florin, Co-Leiter Sektion Landwirtschaft am Goetheanum

Wie kann ich gesund bleiben, auch wenn es Krankheitskeime und schwächende Bedingungen gibt? Die biodynamische Landwirtschaft hat vom Ursprung her einen salutogenetischen Ansatz. Einen Ansatz nämlich, die Erde und die Menschen gesund zu erhalten. In einem kleinen Heft mit dem Titel «Salutogenese»1 beschreibt Michaela Glöckler, (frühere Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum), drei Aspekte der «Salutogenese» als Antwort auf die Frage, wo die Quellen leiblicher, seelischer und geistiger Gesundheit liegen. Während die Pathogenese als Blickrichtung der allgemeinen Medizin nach den physischen Ursachen und Entstehungsfaktoren von Krankheiten sucht und danach, wie man z. B. Krankheitskeime wie Bakterien und Viren durch Antibiotika, Impfungen usw. bekämpfen kann, fragt Salutogenese, wie Gesundheit entsteht. Sie sucht nach deren Bedingungen und will diese prophylaktisch schaffen.

1 Michaela Glöckler, Salutogenese. Verein für anthroposophisches Heilwesen. 2002.

Biodynamische Landwirtschaft und Salutogenese

Krankes bekämpfen oder Gesundheit fördern?

Von Jean-Michel Florin, Co-Leiter Sektion Landwirtschaft am Goetheanum

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Biodynamische Landwirtschaft und Salutogenese

Es ist lohnend, auch einmal die Landwirtschaft und die Ernährung mit den Prinzipien der Salutogenese zu betrachten. Die «moderne› Landwirtschaft beruht fast ausschliesslich auf dem Bild des Pathogens und seiner Unterdrückung bzw. Hemmung eines biologischen Ablaufs bzw. einer genetischen Information.

Immer mehr tötende Substanzen wie Herbizide, Fungizide, Insektizide usw. wurden erfunden, um Unkräuter, Krankheiten und Schädlinge zu zerstören. Dieses Konzept zeigt immer stärker seine Grenzen, zum Beispiel durch die Resistenz von bestimmten «Unkräutern» und vor allem von Krankheitserregern. Zudem verursachen antibiotikaresistente Bakterien jedes Jahr weltweit viele Tausend Tote.

Auch bei der Verarbeitung in der Lebensmittelindustrie (Milchskandal in Frankreich bei Lactalis z.B.), zeigt dieses Prinzip seine Grenzen. Und es kommt dazu die Tatsache, dass die Anzahl neuer «Schädlinge» steigt wieder und wieder besonders durch die Globalisierung und den Klimawandel.

Dagegen kann man biodynamische Landwirtschaft vom Ursprung her als einen salutogenetischen Ansatz betrachten. Es ist ein Ansatz, die Erde und die Menschen gesund zu erhalten. Der Landwirtschaftliche Kurs Rudolf Steiners entstand als Antwort auf die Fragen der Landwirte, die mit der Degeneration von Boden, Pflanze und Tier sowie auch der menschlichen Ernährung zu tun hatten. Dabei zeigte Steiner, wie man heute neue Kräfte «aus dem Geistigen» holen muss, um das Leben der Menschen auf der Erde erhalten und fördern zu können. In der aktuellen ökologischen Situation, in der wir steigende Verschmutzung der Ökosysteme, einen grossen Biodiversitätsschwund, eine zunehmende Zahl von Epidemien, etc. erleben, wird die Frage «Wie können wir noch gesund auf der Erde leben?» für immer mehr Menschen und Lebewesen auf der Erde ganz existenziell.

In verschiedenen Kursen habe ich die drei Prinzipien der Salutogenese auf den landwirtschaftlichen Organismus angewendet. Dieser Ansatz fand bei vielen Menschen ein positives Echo, weil er einige grundsätzliche Aspekte des Biodynamischen klarer macht. Besonders den Winzern und Obstbauern, die gelernt haben, ständig gegen allerlei Schädlinge wie Pilze, Insekten, Unkräuter und gegen Witterungsextreme zu kämpfen, hilft diese Idee. Dadurch verstehen sie das grundsätzlich andere Paradigma der biodynamischen Landwirtschaft besser. Biodynamisch zu arbeiten verlangt eine Umstellung der Praxis, aber parallel dazu auch eine Umstellung der inneren Einstellung dem Leben gegenüber: «Mit dem Leben arbeiten und nicht gegen das Leben.» Es gilt, geeignete Bedingungen für eine gesunde Entwicklung des Bodens, der Pflanzen und Tiere herzustellen.

Dynamische Zustände: das erste Hauptprinzip der Salutogenese

Das erste Prinzip ist das Prinzip der Heterostase (hetero =anders und stase = Zustand) im Gegensatz zum Prinzip der Homöostase (homöo = gleich). Man kann dies gut an lebendigen Zusammenhängen erkennen. Homöostase heisst, dass man versucht, alle äusseren, ‹schädlichen› Einflüsse zu beseitigen und einen festgelegten, fixen Zustand aufrechtzuerhalten, damit Pflanzen und Tiere gut wachsen können. Umgekehrt geht das Prinzip der Heterostase von einer aktiven Auseinandersetzung von Pflanzen oder Tieren mit ihrer Umgebung aus. Gesundheit wird als ein dynamischer Zustand verstanden. Anstatt zum Beispiel die Kulturpflanzen vollständig vor Umgebungswirkungen zu schützen – diese Logik führt dann bis zum bodenlosen Anbau, hors sol, – wird umgekehrt angestrebt, die Pflanzen soweit wie möglich draussen wachsen zu lassen. Dabei werden die physiologische Gesundheit und die Anpassung der Pflanzen an die Umgebung gefördert. (siehe www.vitisphere.com)

Es ist lohnend, die Komposition der sechs Kompostpräparate unter diesem Aspekt zu betrachten. Vor dem Initiieren der biodynamischen Landwirtschaft hatte Rudolf Steiner schon verschiedene Heilmittel für den Menschen konzipiert, die mit der Bezeichnung «doron» enden. Doron kommt vom Griechischen und bedeutet Geschenk. Diese Heilmittel, jeweils pharmazeutisch aufbereitete Kompositionen von Heilpflanzen und Mineralien wie Hepatodoron, Cardiodoron, sollen nach dem salutogenetischen Prinzip die Gesundheit der verschiedenen Organsysteme regulieren und stärken. Es sind mehr «Gesundheitsmittel» als Heilmittel.

Man kann auch den biodynamischen Dünger mit den sechs Kompostpräparaten wie ein Gesundheitsmittel oder ein allgemeines Regulierungsmittel für die lebendige Erde und dadurch die Pflanzen sehen. Jede der sechs Präparatepflanzen hat eine regulierende Wirkung und ist mit einem bestimmten (Un-)Gleichgewicht in der Umwelt verbunden und hat gleichzeitig eine besondere Beziehung zu mineralischen Prozessen. Alle sechs verwendeten Pflanzen (Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Löwenzahn, Eiche und Baldrian), die jeweils in einer «unausgewogenen» natürlichen Umgebung wachsen, haben dort eine ausgleichende Wirkung dort, wo sie spontan wachsen. So hat beispielsweise der Löwenzahn, der auf feuchtem, verdichtetem Boden wächst, der voll von frischer tierischer organischer Substanz ist, eine besondere Verbindung zum Licht über den Kieselprozess, für das er als Vermittler fungiert. Er hilft, Situationen mit einem zu feuchten und zu schattigen Klima auf zu reichen Böden auszugleichen. Die Kamille hingegen, die auf sehr hellem, mineralisiertem und verdichtetem Boden wächst, gleicht Bedingungen von zu trockenem, zu hellem Wetter besonders auf mineralisierten oder sogar versalzten Böden aus.

Man könnte sagen, dass jede der Heilpflanzen in den Präparaten die Fähigkeit entwickelt hat, mit bestimmten extremen Bedingungen fertig zu werden, und dass sie diese Fähigkeit auf den Kompost überträgt. Biodynamischer Kompost stellt somit eine allgemeine Präventivmassnahme gegen verschiedene Umweltungleichgewichte dar. Mit anderen Worten, er gibt den Kulturen die Möglichkeit, den verschiedenen Ungleichgewichten besser zu begegnen: zu trocken, zu heiss, zu heiss-kalt, zu hell, zu mineralisch oder zu reich an organischer Substanz etc. Neuere Untersuchungen im Elsass zeigen die Präparatewirkung sehr anschaulich im salutogenetischen Sinn. Es zeigte sich, dass die natürlichen Abwehrkräfte der Rebe bei biodynamischen Reben höher sind als bei konventionellen. (www.fao.org)

Darüber hinaus bringt dieses Prinzip eine andere Sicht auf die Züchtung der Pflanzen und Tiere mit wichtigen Konsequenzen für die Züchtung neuer Sorten und Rassen. Man wird weniger versuchen, genetisch fixierte resistente Sorten zu entwickeln, sondern eher die Möglichkeit der Pflanzen, aktiv mit den Krankheiten umzugehen und sie zu überwinden. Man sieht bei bestimmten Gemüsearten, wie z. B. beim Kopfsalat, wie Krankheiten die Züchtung von Resistenzen jedes Jahr überwinden und man ständig neuen Resistenzen hinterher züchten muss.

Interessanterweise bezeichnen sich die bio und biodynamische Nahrungsmittel oft durch einen höheren Gehalt an Antioxidantien die gerade durch die aktive Auseinandersetzung der Pflanze mit der Umgebung entstehen.

Kohärenz – das zweite Prinzip der Salutogenese

Das zweite Prinzip ist das Kohärenzgefühl: das Gefühl für den Zusammenhang alles Seienden. Für den Menschen bedeutet es die Fähigkeit, seinen Platz im grossen und kleinen Weltzusammenhang zu finden. Auf die Landwirtschaft übertragen heisst es, dass jede Kulturpflanze, jedes Tier in ihrem Zusammenhang, in einer eigenen sie fördernden Atmosphäre wachsen oder leben können sollte. Dieses Prinzip hilft zu verstehen, dass jedes Naturwesen, jede Pflanze und jedes Tier nie für sich alleine existieren kann, sozusagen in Monokultur. Sie sind immer Teil eines grösseren Ganzen, das es zu erhalten und zu gestalten gilt.

Jede Pflanze wird gesünder, wenn sie in ihrem lebendigen Zusammenhang wächst. Dazu gehören nicht nur die Erde mit den Mikroorganismen und Mykorrhiza, sondern auch die Beikräuter. Und auch, wie Rudolf Steiner im 7. Vortrag seines Landwirtschaftlichen Kurses zeigt, die ganze Landschaft mit ihren Pflanzen sowie ihren wilden und auch landwirtschaftlich genutzten Tieren. Rudolf Steiner macht aufmerksam, wie Tiere und Pflanzen zwei sich ergänzende Wesen sind, und beschreibt, wie die Pflanzen, wenn sie ihre zweite Hälfte, die Tiere, nicht finden, weniger gut gedeihen. Man könnte sagen, dass eine vielfältig gegliederte Landschaft unabdingbar ist, um die Kohärenz für alle Kulturpflanzen und landwirtschaftlichen Tiere zu sichern. Da erreichen wir das Ideal des landwirtschaftlichen Organismus als einer nach innen stark differenzierten Einheit. Dazu gehört die Pflege der Biodiversität, die für die landwirtschaftliche Produktion so wichtig ist. Die Welternährungsorganisation FAO hat erkannt, dass der Verlust der Biodiversität die Welternährung gefährdet (Bericht 22.02.2019).

Dies ist eine sehr grosse Herausforderung, aber auch ein sehr spannender Innovationsweg vor allem für die Landwirte, die eine Monokultur auf biodynamisch umstellen wollen, wie viele Winzer oder Obstbauern. Was gehört zur gesunden Umgebung meiner Reben oder meiner Apfelbäume? Eine solche Frage führt dazu, sich für den Ursprung der Rebe oder des Apfels, für die Entwicklung ihrer Kultur und ihrer Ökologie usw. zu interessieren.

Dagegen zerstört leider der konventionelle, industrielle Landbau den ganzen Zusammenhang. Sogar unter dem Boden werden die Interaktionen gehemmt, durch Pestizide und Kunstdünger: So zeigen neuere Forschungen, dass die mineralische Düngung die Umgebung der Pflanzenwurzel so verändert, dass der aktive Schutz der Pflanzen durch das Mikrobiom des Bodens nicht mehr gewährleistet wird. (siehe www.sciencedaily.com)

Sinn – das dritte Prinzip der Salutogenese

Das dritte Prinzip der Salutogenese ist das Erleben von Sinnhaftigkeit. Für die Menschen bedeutet das eine Widerstandskraft im Geistigen, die sich auf ein Vertrauen in den Gang und die Sinnhaftigkeit der Menschheitsentwicklung gründet. Was kann das heissen für den biodynamischen Betrieb? Wie und wo findet eine Landwirtschaft ihre Beziehung zum «Geistigen»? Das Prinzip der landwirtschaftlichen «Individualität», gründet sich auf eine solche Ich-haft geistige Qualität.

Wie wird es verwirklicht und wie können wir es fördern? Es gibt verschiedene Aspekte dazu. Eine wichtige Möglichkeit ist die Anwendung der zwei Spritzpräparate Hornmist (P500) und Hornkiesel (P501). Nach Steiner bringt der Hornmist die Kulturpflanzen stärker in Verbindung mit dem allgemeinen «Ich» der Pflanzenwelt in der Mitte der Erde, und der Hornkiesel, der über das Licht wirkt, verbindet sie mit ihrer mit ihrer biologischen Art, oder anders gesagt mit ihrem Typus über der Erde. Die resultierende Kräftigung der pflanzlichen Aufrichtekraft durch die beiden Spritzpräparate zeigt das Erleben: Oft bemerkt man, dass sich nach einem Sturm das biodynamische Getreide wieder besser aufrichten kann als das konventionelle überdüngte, das oft bricht und zu Lagerbildung neigt.

Ein weiterer Aspekt der zu untersuchenden Resilienz wäre die Stärkung der Identität der landwirtschaftlichen Individualität als solche. Besonders beeindruckend war die Präsentation der Biografie von Deutschlands ältestem biologisch-dynamischem Bauernhof, Marienhöhe, auf der Landwirtschaftlichen Tagung am Goetheanum im 2017. (siehe «Bodenfruchtbarkeit – Dokumentation der Landwirtschaftlichen Tagung» am Goetheanum 2017, Seite 6) Landwirt Fritjof Albert zeigte auf, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb auf sehr armem Sandboden im Laufe der Generationenfolge von Bauern und der Geschichte in neunzig Jahren überleben und seine Fruchtbarkeit und Produktivität steigern konnte.

Es ist interessant zu sehen wie heute viele Menschen nach authentischen, individuellen Nahrungsmittel suchen, die auch eine persönliche Beziehung zu einem Hof, zu einer Landschaft ermöglichen. Diese Tendenz die besonders stark im Weinbau (Suche nach Terroir) vertreten ist, erweitert sich zu anderen Produkten wie Brot, Käse, usw.

Die Berücksichtigung dieser verschiedenen Aspekte der Salutogenese wird in einem Kontext der Schwächung der Vitalität von Lebewesen und der zunehmenden klimatischen Unsicherheiten aufgrund der vielfältigen aktuellen Krisen immer wichtiger.

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Literatur
Übersicht

über die bio-dynamische Landwirtschaft

Wo gibt es bio-dynamische Höfe?

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Forschung:
DOK-Versuch

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Studie: bio-dynamische Ernährung

Die sogenannte «Klosterstudie»